Das Buch der Psalmen war im Mittelalter in gebildeten Kreisen sehr beliebt. Obwohl seit dessen Abfassung schon mehr als tausend Jahre vergangen waren, dachte niemand, dass diese Texte veraltet und die Sprache fremd sei. Und selbst wenn es Stellen gab, die unverständlich waren, konnte man darin doch Worte finden, die der eigenen Lebens-lage entsprachen: Worte des Trostes, des Ärgers, der Wut und der Freude. Man konnte sich so die Worte anderer leihen und seinen Gefühlen Ausdruck geben. Das Besondere am Psalter ist, dass alle Psalmen an Gott gerichtet waren, von dem man Hilfe, Trost usw. erwartete. So war man vom Druck befreit, selbst für alles zu schauen.
Der sehr sorgfältig bebilderte Stuttgarter Psalter entstand in der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts in der Nähe von Paris und wird nun in der Württembergischen Landes-bibliothek Stuttgart aufbewahrt. Daher sein Name. Das unten-stehende Bild gehört zum Psalm 91. Im dreizehnten Vers heißt es: „Über Löwen und Vipern wirst du schreiten, wirst zertreten Löwen und Drachen.“ Löwen gab es damals in Frankreich, wo der Psalter entstanden war, nicht, und feuerspeiende Drachen werden einem kaum jeden Tag über den Weg gelaufen sein. Dieses Bild zeugt von der Gewissheit, dass Gott einem vor möglichem Ungemach bewahrt. Der Psalmist spricht nicht von einer Welt, in der es kein Ungemach mehr gibt. Seine Worte lassen aber erkennen, dass man sich davor nicht zu fürchten habe. Im zwölften Vers heißte es „Auf den Händen werden sie (= die Boten des Herrn) dich tragen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stoße.“ Dies erklärt die etwas seltsame Haltung des Engels auf dem Bild. Alles, was zu tun ist, ist, sich tragen zu lassen. Falls dann doch ein Ungemach auftaucht, wird man dies mit Gottes Hilfe bestehen.
Die Jahreslosung 2024 heißt: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“ (1. Korinther 16,14) Angesichts der vielen Kriege und Unruhen war es eine weise Entscheidung, diesen Vers zu wählen. Gleichzeitig ist es schwierig, sich danach zu richten. Beschützt und bewahrt sind wir, mögen wir den Mut haben, dies weiterzugeben.
Andreas Rusterholz